Kaffee oder Tee?
Der Herbst zieht übers Land. In den Dämmerstunden
steigen aus den Straßenpfützen langsam Dunst und Missgunst auf. Die Tage
werden kürzer, weil die Nächte länger dauern und dafür der Vormittag entfällt.
Um 15 Uhr wird aufgestanden und zwei Stunden lang geseufzt. Danach trifft man
sich in schön bestuhlten Schankstuben, tauscht aktuelle Tagesdepressionen aus,
gießt sich Heißgetränke hinter die Organe und lernt dabei für`s Leben.
Denn eine Heißgetränkebestellung ersetzt ein komplettes Persönlichkeitsprofil
und hilft, wahre Freunde von falschen Freunden zu unterscheiden:
Wahre Freunde bestellen Kaffee, falsche Freunde trinken Tee.
Kluge, charmante und weltgewandte Erdenbürger wissen, dass man Tee nicht
einfach so und ohne Not bestellt. Dafür ist Tee nämlich gar nicht vorgesehen.
Tee ist ein Aushilfsgetränk und Anstaltsaufguss und wird nicht umsonst stets da
verabreicht, wo man nicht davor flüchten kann: in Krankenhäusern,
Schullandheimen und vor allem in England. Tee macht blass und rothaarig,
schmeckt nach infizierten Atemwegen, nach Bettpfanne, Wandertag und Küstennebel
und drückt zudem noch mächtig auf die Blase. Ein typischer Teetrinker
frequentiert ausgiebig die Aborte und wirkt immer irgendwie entleert. Ein leerer
Blick, ein leeres Wort, dann rennt er wieder zum Abort. Tee-Liebhaber sind genau
wie ihr Getränk: Man muss sie ziehen lassen.
Von Tee-Aposteln wird immer wieder gern behauptet, dass Kaffee so furchtbar
gesundheitsschädlich sei: Nun, das stimmt, aber schließlich schadet das ganze
Leben der Gesundheit, und da muss sich der Mensch seiner Umwelt anpassen. Künstlich
gesundgetrunkene Tee-Körper leiden nämlich an Schadstoffarmut und werden von
allen einreisenden Krankheitskeimen umgehend überfremdet. In einem
kaffeegeschulten Organismus dagegen sind Schadstoffe kein Fremdkörper, sondern
werden im Gegenteil von allen anderen dort bereits anwesenden Schadstoffen fröhlich
begrüßt und klaglos integriert.
Teetrinker sterben an der eigenen Gesundheit. Kaffeetrinker sind entschlossene,
widerstandsfähige Persönlichkeiten, die immer brav ihr Koffein getrunken
haben. In öffentlichen Schanklokalen gefallen sie durch spontane Entscheidungen
und Unmissverständliche Getränkewünsche. Teetrinker prahlen mit Expertentum,
müssen immer erst eine lange Liste absurder Teemischungen durchhecheln und
gutgelauntes Kneipenpersonal mit den unmöglichsten Spezialbestellungen anöden.
Manche Teesortennamen klingen wie Geschlechtskrankheiten, andere wie Automarken,
Pflanzenschutzmittel, Kinderbuchtitel oder Sprechübungen für Schauspieler. Wer
einmal einen "China Yunnan Flowery Orange Pekoe Black" bestellt hat,
wird vom Service-Personal zu Recht gemieden und muss in Zukunft zu Hause
trinken. Teetrinker wohnen in schlecht gelüfteten Zimmern mit Holzdecken und
Hochbetten, wo man seine Schuhe ausziehen, auf dem Fußboden sitzen muss und
vergilbte Wandposter von philosophierenden Indianerhäuptlingen anstarrt. Die
treffendsten Teesorten-Sammelbezeichung wäre daher
"Assam-Indianerposter" oder " Darjeeling Dringend Durchlüften".
Teetrinker werden allmählich einsam, weil sie ihren Besuchern niemals zuhören.
Sie können sich immer nur darauf konzentrieren, ihren Teebeutel auszuwringen
und mit erstarrter Marmor-Miene ungerührt den Kandis klumpig zu quirlen. Dann
laufen sie nervös aus dem Zimmer, um in abgebeizten Oma-Küchenschränken
zwischen rostigen Tee-Eiern und verbeulten Blechsieben nach Tröpfchenfängern
und Stövchenkerzen zu fahnden. Den größten Teil ihres Lebens verbringen sie
mit Suchen, den Rest mit Umrühren; da bleibt kein Platz mehr für
Freundschaften.
Wahre Freunde tragen T-Shirts mit der Aufschrift: "Tee ist kompliziert und
schmeckt scheiße!"
Sie trinken regelmäßig Kaffee und rauchen ganz viele Zigaretten. Gute Freunde
sind immer Raucher. Nichtraucher sind Trübtröten mit Desolaten
Themen-Arsenalen, die überall das Fenster aufreißen, das
Gesundheitsministerium zitieren, Krebsraten runterbeten und Rauchbesuch auf den
Balkon verbannen. Die meisten Raucher sterben nicht an Krebs, sondern erfrieren
auf Balkonen. Nichtraucher lassen sich aus lauter Eitelkeit zweimal pro Woche
die Lunge röntgen und vertreiben sich die langen Winterabende mit eitlen
Lungen-Dia-Shows.
Gute Freunde aber haben schlechte Lungen und spucken sich Morgens gegenseitig
einen ansehnlichen Auswurf in die Waschbecken. Nichtraucher dagegen bleiben
Nicht-Freunde und gehören in ein kaltes, zugiges Abteil gesperrt. Zusammen mit
Teetrinkern. Da können sie stundenlang die Fenster aufreißen, Tröpfchenfänger
tauschen und sich gegenseitig bitten, nicht zu rauchen; außerdem gerät man
nicht in Gefahr, sie versehentlich mit guten Freunden zu verwechseln.
Die besten Freunde sind natürlich immer alte Freunde, denen man ansieht, dass
man sich viel mit ihnen beschäftigt hat. Richtiggehend zerfleddert und
abgegriffen müssen sie aussehen, mit Kaffeeflecken am Hemdkragen und Brandlöchern
in den Fingerkuppen. Davon kann man nie genug haben, und man sollte beizeiten überlegen,
eine "Alte-Freunde-Tauschbörse" einzurichten oder auch ein "Alte-Freunde-Antiquariat",
wo stets ein großer Posten bereits benutzter Freunde in den Regalen hockt und
auf Kundschaft wartet.
Teetrinker und Nichtraucher wären als langweilige Ladenhüter verpönt, würden
in Kartons verpackt, in Garagen aufgestapelt und schließlich ganz vergessen
werden. Und nur an stillen Winternachmittagen, wenn man zufällig an solchen
Garagen vorbeikäme, würde man sie hören, wie sie mit ihren Tauchsiedern
hantieren. Man vernimmt das gedämpfte Klappern polierter Porzellantässchen, hört
Tee-Uhren rasseln und zieht fröhlich pfeifend, aber kopfschüttelnd seiner
Wege, trifft sich mit guten Freunden, trinkt Kaffee, raucht Zigaretten und
wartet gemeinsam auf den Sommer...