Im Wartezimmer
Man sagt, erst wenn man krank ist, weiß man die
Gesundheit zu würdigen. Ich stimme dem zwar zu, nicht jedoch, ohne einen
Schritt weiter zu denken. Kranksein bedeutet nämlich auch:
Sitzen im Wartezimmer des Arztes... Ich hasse das!!
Mich hat´s erwischt! Eine starke Grippe hat meinen Wohlstandsbody heimgesucht.
Ich niese und huste pausenlos. Normalerweise würde ich mich ins Bett legen und
die Sache ausschwitzen, wäre da nicht ein besonderes Merkmal: die Zigaretten
schmecken zur Zeit wie "benzingetränkte Kohlrouladen". Kurzum, ich
habe Fieber.
Fieber ist eine Sache für den Onkel Doktor! Mist, hoffentlich ist es beim Arzt
nicht zu voll im Wartezimmer. Um 9 Uhr früh bin ich da und vor seiner Praxis
stehen kaum Autos. Hurra, es scheint leer zu sein! Dieser unverhoffte
Seelenschub lässt mich fröhlich ins Wartezimmer eintreten! Ich fühle mich
schon um Welten genesen.
Tür auf: Aaaaargh!! Proppevoll der Raum!! Mein Gemüt fährt Achterbahn talabwärts
in die Seelensenke! Ein paar wenige Plätze sind noch frei. Mein Sitznachbar
spricht mich an: "Toll, die vielen, neuen Parkplätze hinter dem Haus des
Arztes, finden Sie nicht auch ?" Wie witzboldig...
Wartezimmergepeinigt zähle ich die Leute durch, die vor mir hier gewesen sind.
Eins, zwei drei...vierzehn, fünfzehn! Ich merke mir jedes Gesicht, indem ich
sie mir in meine Gehirnzellen einscanne. Schließlich sollen nach mir Kommende
sofort als "Hinterbänkler" markiert werden. Von wegen Vorfuscheln und
so... NICHT MIT MIR!!! Zur Optimierung meines
Patientenerfassungs-Vorfuscheln-Vermeidungssytems schließe ich den
Sicherheitskreis mit der obligaten Frage "wer war der letzte?".
Hoppla, ich muss mich ja noch anmelden. Aufgestanden und ab zum medizinischen
Personal. Seltsam, Arzthelferinnen sehen immer prächtig aus! Bei ALDI
jedenfalls fällt mir das nicht so stark auf. Ärzte haben doch einen gelehrten
Geschmack.
Nach den üblichen Formalitäten kehre ich ins Wartezimmer zurück. Ufffff, da
sind doch glatt 2 neue Besucher hinzugekommen. "Wer war der letzte?",
fragt einer der neuen.
Schweigen! Eine Frau zeigt auf mich und sagt: "Der da!". Was, wie, wo?
Ich soll der letzte sein?? "Neenee", rufe ich dem
Wer-war-der-letzte-Fragenden zu, "die Frau neben Ihnen müsste das sein,
die war vorhin noch nicht hier!" "Das ist meine Frau, die hat mich nur
hergebracht", antwortet dieser, "also Sie sind der Letzte?" Es
bleibt mir nichts anderes übrig: "Jooo."Frechheit, denke ich mir, da
hält aber einer genau nach! Spießer! Hat wohl Angst, dass sich jemand
vorfuschelt. Leute gibt´s... !
Die Zeit im Wartezimmer vergeht elend schleppend. Niemand unterhält sich.
Totenstille. Alles glotzt in die von 1000 Händen abgegriffenen Zeitschriften.
Man liest die uninteressantesten Artikel, nur um die Zeit totzuschlagen.
Wenn´s nach mir ginge, müsste jeder Arzt dazu verpflichtet werden, anstelle
von Wartezimmern Vergnügungsparks, Kneipen, Eislaufhallen oder Kinosäle
anzubieten. Ist doch nun wirklich nicht zuviel verlangt!
Eine einzige dieser Gazetten liegt noch auf dem Tisch und ich greife sie mir.
"Frau und Gesundheit", auch das noch!! Aber in der Not frisst der
Teufel Fliegen. Im Inhaltsverzeichnis suche ich nach der Kreuzworträtselseite:
Seite 47, das Riesen-Kreuzworträtsel für die Frau! Beim Aufblättern hole ich
derweil in Vorfreude meinen Kugelschreiber heraus. So ein Sch.....!! Fast alle
Felder sind schon vollgeschrieben! Ich hasse Leute, die in fremden Zeitschriften
herumkritzeln!! Als wenn das deren eigene wären! Ich frage mich, warum Menschen
so wenig Respekt vor fremden Eigentum haben... Ich schaue mir die Lösungen
meines Vorgängers an und da fällt mir auf: Hat dieser doch bei
"Hauptstadt von Finnland - 8 Buchstaben" mit Helsinki geantwortet!
Nicht zu fassen, weiß doch jeder, dass es "Kapstadt" ist. Ich
verbessere...
"Herr Perkams, bitte" tönt es plötzlich durch den Lautsprecher im
Wartezimmer. Obwohl noch 7 gescannte Patienten vor mir dran sein müssten, werde
ICH, ja ICH, aufgerufen!!! Mit triumphierenden Blick erhebe ich mich vor den
anderen und lasse denen wohlgefällig in Gedanken zufliegen "Tja Leute,
Privatpatient müsste man sein!"
In freudiger Erlösung meines Wartezimmer-Daseins gehe ich zur Theke an der
Anmeldung. Ich will mich gerade erkundigen, in welches der 3 Behandlungszimmer
ich schreiten darf, da fragt mich die Perle: "Stimmt Ihre Krankenkasse noch
?" Ich bejahe und will gerade ins Doktorzimmer 1 schreiten, da erreicht
mich ihre Stimme "Gut, dann können Sie wieder im Wartezimmer Platz
nehmen."
Waaaaaas? Glucks... (Unverschämtheit!) .. grummel.. schmoll.. Zurück im
Wartezimmer erwischt mich ein neuerliches Waterloo:
Mittlerweile sind nun alle Stühle belegt! Ich fass´ es nicht!! Mein Sitzrecht
von vorhin anzumelden, würde sicherlich den Unbill aller Wartenden auf mich
ziehen. So stehe ich nun da an der Wand in der Ecke und weiß mich nicht korrekt
zu stellen. Wie steht man "intelligent" ? Gute Frage... Ich nehme mir
ein Beispiel an dem Garderobenständer in der Ecke gegenüber. Fehlt nur noch,
dass jemand reinkommt und an mir seinen Mantel aufhängt...
Eine Person im Wartezimmer hat´s jedoch besonders gut. Es ist ein Kind, das mit
bunten Bauklötzen (die die Arztpraxis bereitstellt) am Boden spielt. Ob mir der
Kleine ein paar Steine überlässt ? Quatsch! Einerseits sollte sich ein
35jaehriger keine Blöße geben, andererseits seh ich den Kleinen schon
schreien: "Mami, der hat mir meine Klötze weggenommen!" Warum gibt es
bei Ärzten eigentlich kein Erwachsenen-Spielzeug?
Ein anderes Kind spielt direkt neben mir mit einem Gameboy. Ich schaue ihm über
die Schulter und gebe ein paar Tipps zu Tetris.
"Nun lassen Sie doch das Kind mal in Ruhe alleine spielen!", harscht
mich ein dickliches Frauenzimmer von links an. Alle Zimmerwartenden schauen nun
auf mich. Ich merke, wie meine Gesichtshaut sich vor beschämender Ertapptheit
erwärmt. Einerseits bin ich der einzig Stehende im Raum (und somit als
"Loser" abgestempelt), andererseits fühle ich mich von allen der
Unduldsamkeit überführt. Garderobenständern wäre sowas sicherlich nicht
passiert... Nach 15 Minuten des unintelligenten Stehens wird wieder ein Stuhl
frei. Beim Hinsetzen niest es unversehens aus mir heraus, eh ich noch
Vorkehrungen treffen kann, die wohlerzogene Hand zum Gesicht zu führen.
Leidtragender dieses unkontrollierten Ausbruchs ist das bauklotzende Kind am
Boden vor mir. Es beginnt laut zu heulen und rennt zur Mutter "Buhuhuuu,
der Onkel da hat mich nassgespritzt..." Feuerflammende Blicke der
Umhersitzenden treffen mich schweigend, aber eindringlich. Was kann ich dafür,
dass Kinder so wenig Verständnis für Todkrankheiten von Erwachsenen haben...
Obwohl jetzt nicht mehr notwendig, zücke
ich für Zwecke einer guten "Show" aber wenigstens noch schnell mein
Taschentuch mit hastigen Bewegungen, um anzudeuten, "ich wollte ja..."
"Sie scheinen sich aber mächtig erkältet zu haben", meint ein Herr
rechts neben mir. "Ja", sag ich, "mit Fieber und Ausschlag."
Ich will ihm gerade sachlich und ohne Übertreibungen meine tragische
Krankengeschichte mit einem lebensbedrohlichen Fieber von 37,6=B0 schildern, da
setzt er sich doch unter scheinheiligem Vorwand 3 Plätze weiter. Das Wort
"Ausschlag" hätte ich wohl besser nicht erwähnt...
Mein Nachbar zur linken stößt mich beim Umblättern seiner Zeitung
versehentlich an. "Verzeihung", tönt es leise aus ihm heraus und
obwohl es so aussieht, als wollte er in Ruhe weiterlesen, deute ich es doch
letztlich als Kommunikationswilligkeit. Ich zeige auf sein geschwollen
scheinendes, rechtes Fußgelenk und sage mitleidsvoll "Umgeknickt,
was." Trocken wie Sahara-Staub lässt er mich kurz angebunden wissen, dass
er nur auf seine Frau im Behandlungszimmer wartet und dreht sich etwas ab von
mir. Dabei schlägt er seine Beine übereinander und ich sehe keinen Unterschied
zu seinem linken Fußgelenk. Gleich dick. Sollte ich mich so verguckt haben?
Peinlich...
Zweieinhalb Stunden sind nun ins Land gegangen und ich denke an den Arzt, der
mir mit diesen widerlichen, geschmacklosen Holzplättchen die Zunge bis weit
unter dem Kehlkopf quetschen wird, um meine Mundhöhle zu begutachten. Ich weiß,
dass ich mich dabei dann wieder verschlucken werde. Wohl auch deshalb, weil mich
diese Holzstäbchen immer an Eis-Stiele erinnern. Stiel-Eis, das seine Kinder
gelutscht haben und er die Stäbchen aus Kostengründen weiterverwendet. Auf
solche Gedanken kommt man wohl nur in öden Wartezimmern.
Endlich werde ich ins Behandlungszimmer gerufen. Das Martyrium
"Wartezimmer" hat ein Ende gefunden. Ich hoffe, der Arzt verschreibt
mir alles Notwendige zur Heilung meiner Krankheit. Wehe der Worte: "Nächste
Woche kommen Sie dann zur Nachuntersuchung...".